Für mich hat der Weg aus der Krise folgende Wegpunkte:
Kompromissloses Einfordern der vereinbarten Maßnahmen im Koalitionsvertrag
Nicht erst seit der letzten Groko wissen wir: Die SPD hat nicht nur mehr Bürgerrechte erkämpft als alle bürgerlichen Parteien zusammen, sondern kennt im Gegensatz zur Union auch kein Wenn und Aber bei der bürgerlichen Tugend der Vertragstreue. Diese Vertragstreue müssen wir einfordern! Wir dürfen es in keinster Weise mehr dulden, dass die Union die Umsetzung von vereinbarten Punkten untergräbt, blockiert oder verschleppt – auch nicht zähneknirschend!
Vielmehr gilt es, Zähne zu zeigen! Wir müssen allen klarmachen: Weder sind wir um jeden Preis in die Große Koalition gegangen, noch werden wir um jeden Preis in der Großen Koalition bleiben. Das schulden wir den Bürgerinnen und Bürgern, denn eine Große Koalition, die nicht für Stabilität sorgt, hat keine Existenzberechtigung. Das schulden wir aber ebenso unseren Mitgliedern, die im Mitgliedervotum größtenteils zwar „Ja“ angekreuzt, in den meisten Fällen jedoch „Ja, aber…“ gemeint haben. Wir haben mit dem gut ausgehandelten Koalitionsvertrag um die Zustimmung der Basis geworben. Es ist folglich unsere Pflicht, kompromisslos für dessen Einhaltung zu sorgen.
Wenn die Koalition nicht drastisch und rasch Arbeit und Erscheinungsbild ändert, kann und wird sie nicht länger Bestand haben.
Ein neues Sozialstaats-Konzept
Fehlendes Vertrauen in unseren Sozialstaat gefährdet das Vertrauen in unsere Demokratie. Mit Blick auf die Erfahrungen der letzten Jahre kann das nur heißen: Hartz IV hat ausgedient. Eine Mini-Reform Nummer 137 ist keine Option. Die SPD muss ein neues Sozialstaats-Konzept entwickeln und damit antreten. Wir fordern, dass folgende Punkte Teil dieses neuen Konzepts werden:
- Ein sanktionsfreies Existenzminimum. Es ist nicht tragbar, dass wir ein Existenzminimum festlegen, dies aber dennoch mit Strafkürzungen belegen – in den allermeisten Fällen aufgrund von Terminverstößen.
- Eine komplett unabhängige Kindergrundsicherung. Dass es in einem der reichsten Länder der Welt Kinderarmut gibt ist eine Schande; dass die Förderung der Kinder mit dem Einkommen steigt setzt dem die Krone auf.
- Gezielte Unterstützung für Alleinerziehende. Kinder alleinerziehender Eltern sind mit am häufigsten von Armut betroffen und verdienen die unbegrenzte Solidarität von Staat und Gesellschaft.
- Ein solidarisches Grundeinkommen als Teil des sozialen Arbeitsmarkts. Der Staat muss Langzeitarbeitslosen neue Perspektiven bieten und einen alternativen Weg in sozialversicherungspflichtige Arbeit schaffen.
- Einen Mindestlohn von mindestens 12 Euro. Während es Deutschland wirtschaftlich gut geht wie lange nicht, gibt es für Millionen von Arbeitnehmern weiterhin nur Niedriglöhne, mit denen Altersarmut droht.
- Gebührenfreie Bildung vom Kindergarten bis zum Meisterbrief oder dem Master-Abschluss. Bildung entscheidet weiterhin über Lebenschancen. Ein gebührenfrei ausgestaltetes und gut finanziertes Bildungssystem verhindert, dass später Sozialtransfers gezahlt werden müssen.
- Die Einführung eines lebenslang gültigen Chancenkontos zur Weiterbildung und Umorientierung. Die Digitalisierung der Wirtschaft schreitet voran. Die Menschen für die sich wandelnden Berufsbilder fit zu machen ist unabdingbar, um Wohlstand zu wahren und die Digitalisierung zu gestalten.
- Die Weiterentwicklung von Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung in eine Bürgerversicherung. Gerade mit Hinblick auf Ärztemangel und Pflegenotstand müssen wir die Bürgerversicherung auch in Zukunft energisch fordern! Aber auch bei der Rente ist es unerlässlich, dass die Rentenversicherung zur Bürgerversicherung weiterentwickelt wird, in die mittelfristig alle solidarisch einzahlen: Angestellte, Selbstständige und Beamte.
Ein konsequentes Eintreten für ein soziales Europa und gegen Nationalismus
Das europäische Einigungsprojekt steht für Wohlstand und Frieden – beides wird durch die rechten Demokratiefeinde und den umgreifenden Nationalismus bedroht. Nur ein soziales Europa kann sich dagegen wehren, und die SPD muss sich an die Spitze des Kampfes um ein solches Europa der Zukunft setzen. Eine europäische Arbeitslosenversicherung ist nur ein Beispiel von sozialen Sicherungssystemen, welche im Europa der Zukunft EU-weit organisiert sind und nationale Sicherungs-systeme ergänzen. So stärken wir den europäischen Solidaritätsgedanken. Stärkeren Initiativen gegen Jugendarbeitslosigkeit und eine regional angelegte, von Nationalstaaten unabhängige Wirtschaftsförderung tragen weiter zum Zusammenwachsen bei. Wollen wir aktuelle Mitglieder der europäischen Familie nicht auf Jahrzehnte von der EU entfremden, muss auch mit der Austeritätspolitik Schluss sein.
Verteilungsgerechtigkeit durch gerechte Steuern – national wie international
Die oben geforderten und dringend nötigen Maßnahmen kosten viel Geld, welches solidarisch aufgebracht werden muss. Dafür brauchen wir eine andere Steuerpolitik als heute, sowohl national, als auch international.
Ein EU-weit angeglichenes System für die Unternehmensbesteuerung muss in Zukunft verhindern, dass internationale Großkonzerne die Mitgliedsstaaten gegeneinander ausspielen können. Mindeststeuersätze werden sie dazu zwingen, endlich ihrer Steuerverantwortung nachzukommen und zu jenem Gemeinwohl beizutragen, das ihnen Milliardengewinne beschert. Die Steuern müssen dabei dort anfallen, wo Gewinne erzielt werden.
Auf nationaler Ebene fordern wir die Wiedereinführung einer neu ausgestalteten und damit rechtssicheren Vermögenssteuer. Es kann nicht sein, dass das immer weiterwachsende Vermögen von Millionären und Milliardären nicht dazu beiträgt, die Grundlage für zukünftigen Wohlstand zu sichern. Angesichts der Verdopplung der Zahl der Einkommensmillionäre seit 2004 müssen auch die höchsten Einkommen stärker besteuert werden. Wir fordern eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei gleichzeitigem Anheben der Grenze, ab der dieser anfällt. Damit werden mittlere Einkommen entlastet.
Konkrete Maßnahmen zur Fluchtursachenbekämpfung: Frieden und globale Gerechtigkeit
Kaum ein Begriff wird so oft benutzt und ist dabei so wenig unterfüttert wie „Fluchtursachenbekämpfung“. Einer Partei, die Willy Brandt als Ehrenvorsitzenden hat, liegen die damit verbundenen Fragen von Friedenspolitik und globaler Gerechtigkeit aber in der DNA! Wir müssen die Vereinten Nationen stärken und den Sicherheitsrat durch einen ständigen Sitz der EU handlungsfähiger machen. Wir brauchen neue Abrüstungsinitiativen und sollten als gesamte EU mit gutem Beispiel vorangehen. Fluchtursachen sind neben Krieg und Zerstörung aber auch Perspektivlosigkeit, Ausbeutung, Kinderarbeit und Umweltzerstörung. Wir brauchen eine grundsätzlich reformierte Handels- und Landwirtschaftspolitik für eine faire Teilhabe von Entwicklungs- und Schwellenländern am Welthandel. Produkte aus Kinderarbeit und durch Raubbau sollten einem Einfuhrverbot unterliegen; für eine wirksame Überprüfung müssen zur Not neue internationale Behörden geschaffen oder das Mandat von bestehenden Organisationen ausgeweitet werden.
Sozialdemokratische Politik bei Migration und Integration
Wir brauchen eine sozialdemokratische Migrationspolitik, die auf fünf Pfeilern ruht:
- All diejenigen, die Schutz brauchen, bekommen diesen Schutz. Unsere humanitären Standards werden nicht abgebaut.
- Integration hat oberste Priorität, sowohl in Sachen Sprache, als auch in Sachen Arbeit. Abschiebungen von Menschen in Ausbildung oder Lohn und Brot sind grundfalsch und dürfen nicht mehr stattfinden.
- Es besteht ein transparentes und nachvollziehbares Einwanderungsgesetz, welche Erwerbsmigration steuert, Standards schafft und den Fachkräftemangel lindert.
- Es werden legale Fluchtwege eröffnet, indem Asylanträge auch im Ausland gestellt werden können.
- Rettungsaktionen im Mittelmeer werden nicht kriminalisiert, sondern von staatlicher Seite unterstützt. Deren Notwendigkeit wird aber wegen der anderen Maßnahmen drastisch abnehmen.
Wo immer möglich, sollten diese Lösung europäisch sein. Ansonsten muss Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen.
Keinerlei Waffenexporte in Diktaturen und Kriegsgebiete
Es besteht kein Zweifel daran, dass die Aussetzung der Waffenlieferungen an Saudi-Arabien richtig war. Falsch wäre, dort stehenzubleiben und die Rüstungsexporte in diese blutige Diktatur jemals wieder fortzusetzen. Stattdessen sollten wir den festen Grundsatz beschließen: Keine Sozialdemokratin und kein Sozialdemokrat stimmt Waffenexporten in Diktaturen und Kriegsgebiete zu.
Niemals wieder dürfen deutsche Waffen in die Hände von Unterdrückerregimen und Terroristen gelangen – nicht ein bisschen weniger Waffen, nicht weniger oft, sondern gar nicht mehr. Auch wenn viele weitere Schritte nötig sind: Wer den Kampf gegen Fluchtursachen ernst nimmt, muss dabei helfen, dass die Bundesrepublik auch diesen Schritt geht, und zwar mit gutem Beispiel voran.
Eine sozialdemokratische Klimaschutz-Politik
„Gesamtwirtschaftlich ist nichts vernünftig, was ökologisch unvernünftig ist.“ Dieser Satz stammt nicht aus dem Wahlprogramm der Grünen, sondern aus unserem Berliner Programm von 1989. Gerade junge Menschen haben heute verinnerlicht, was auch wir also schon lange zu unseren Grundsätzen zählen: Dass der Klimawandel und Umweltverschmutzung klare politische Antworten braucht. Für uns heißt das vor allem: Wir müssen die Energiewende auf allen Ebenen konsequent weiterführen.
Aber: Eine Wende bedeutet starken Wandel, und dieser ängstigt viele Menschen mit Hinblick auf ihren Arbeitsplatz und die Bezahlbarkeit der Energie – nicht selten zurecht. Sozialdemokratischer Klimaschutz heißt, bei drohendem Verlust von Arbeitsplätzen nicht mit den Schultern zu zucken, sondern in den Regionen mit guten Überführungskonzepten Arbeitsplätze zu sichern und wo nötig mit Steuergeld die Preise zu drosseln. Die Alternative heißt: Klimaschutz als giftgrünes Eliten-Projekt. Ein solcher Klimaschutz wäre zum Scheitern verurteilt, mit katastrophalen Folgen für unseren Planeten.
Wir dürfen außerdem keinen Cent mehr an Steuergeld für umweltschädliche Maßnahmen ausgeben und müssen dieses Geld in umweltfreundliche Projekte umleiten. Ein konkretes Beispiel: Aktuell fördert der Bund mit über 5 Mrd. Euro jährlich, dass Menschen alleine in ihren Autos die Innenstädte verstopfen und Monate ihres Lebens im Stau verbringen – genannt: Entfernungspauschale. Mit weiteren 12 Mrd. Euro Steuergeld befreien wir Flugzeugbenzin von der Energiesteuer und internationale Flüge von der Mehrwertsteuer. Für diese zusammen 17 Mrd. Euro kann man stattdessen den kompletten öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland kostenlos machen – rund 13 Mrd. Euro – und hätte noch 4 Mrd. Euro für dringend benötigte neue Bus- und Bahnverbindungen, speziell auf dem Land.
Klare Kante beim Thema Diesel und Luftreinhaltung
Der Realitäts-Check an den Infoständen in Bayern und Hessen zeigte deutlich: Unsere mit Klauseln gespickte Position im Dieselskandal versteht niemand. Dabei ist klare Kante umso nötiger, wenn so viele Menschen betroffen sind und kein Zweifel darüber besteht, wer diese Krise verschuldet hat: betrügende Automobilkonzerne. Klare Kante kann für uns daher nur heißen:
- Deutsche Dieselnutzer zahlen keinen einzigen Cent für die notwendigen Nachrüstungen. Bei Betrug zahlt der Betrüger und nicht der Betrogene.
- Wir unterstützen Städte und Kommunen konsequent mit Bundesmitteln bei der Luftreinhaltung. Es verbietet sich, die Verantwortung den Rathäusern zu überlassen, während die Gerichte Woche für Woche mehr Fahrverbote aussprechen.
- Wir schützen die Automobilkonzerne nicht vor laschen Grenzwerten, sondern nehmen sie in die Pflicht, sauberere und nachhaltige Autos zu produzieren. Das gebietet nicht nur die umweltpolitische, sondern auch die industriepolitische Vernunft: Wenn die Autos der Zukunft in Japan und China gebaut werden, gehen die Arbeitsplätze ebenfalls dorthin.
Entschlossener Kampf für Vielfalt, Freiheit und Demokratie – und gegen die rechten Demokratiefeinde
Viele geben uns den Ratschlag, wirtschaftspolitisch nach links und gleichzeitig gesellschaftspolitisch nach rechts zu rücken. Obwohl ich den ersten Teil richtig finde, ist der Vorschlag als Ganzes dennoch grundfalsch. Wir schüren keine Vorurteile, keine Ressentiments gegen Menschen – in keiner Form, zu keiner Zeit. Alles andere wäre eine geradezu zynische Missachtung der Geschichte dieses Landes und unserer Partei.
Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass rechtspopulistische Parteien in unseren Parlamenten sitzen. Genauso verbietet sich ein Abkupfern der Inhalte und der Verrohung der Sprache von Rechtspopulisten, wie es die CSU getan hat. Auf diese Weise stärkt man diese demokratiefeindlichen Kräfte und überlässt ihnen das Spielfeld in der politischen Debatte. Die wenigsten Menschen haben aber Angst davor, dass ihre Stadt islamisiert wird. Vielmehr machen sie sich Sorgen um die Ausbildung der Kinder, die Pflege der Eltern und dass sie die Miete bezahlen können! Eine SPD, die diese Sorgen aufgreift und praxistaugliche Lösungen anbietet wird nicht nur wieder stärker, sondern leistet auch einen erheblichen Beitrag zum Schutz von Freiheit, Demokratie und Frieden in Deutschland und Europa.