Am 28. Juni hat die SPD Schleswig-Holstein zu einer Konferenz unter dem Titel „Friedenspolitik heute“ eingeladen. Wir haben Außenminister Frank-Walter Steinmeier gewinnen können, um mit uns zu diskutieren. Zum Einstieg habe ich eine Rede gehalten.
Meine Damen und Herren,
verehrte Gäste, liebe Genossinnen und Genossen,
wir freuen uns über das große Interesse heute einen Tag lang gemeinsam über Außenpolitik nachzudenken. Die SPD Schleswig-Holstein hat unter dem Titel „Friedenspolitik heute“ eine außen- und sicherheitspolitische Positionsbestimmung erarbeitet, über die wir in den nächsten Monaten mit den Menschen in Schleswig-Holstein und darüber hinaus ins Gespräch kommen wollen. Wir greifen damit eine Initiative von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf, der bei seinem Amtsantritt im Dezember 2013 eine „kritische Selbstprüfung“ der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik angekündigt hat. Bei dem Projekt „Review 2014“ des Auswärtigen Amtes geht es um einen gesellschaftlichen Diskurs mit dem Ziel, eine „Selbstverständigung“ über den künftigen Kurs angesichts neuer internationaler Entwicklungen und Herausforderungen herbeizuführen. Es geht um
- das Maß an Verantwortung Deutschlands,
- die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit
- und die Perspektiven unserer internationalen Politik.
Wir beteiligen uns als Landesverband der SPD aktiv an dieser Diskussion, weil es erstens in der Tradition dieses Landesverbandes liegt, uns auch international zu engagieren. Wir waren gestern in Danzig und haben mit Sozialdemokraten aus Skandinavien, Polen und den drei Baltischen Staaten über die Zukunft der Ostsee-Region diskutiert. Wir engagieren uns seit Jahren in Palästina und unterstützen dort die dortige sozialdemokratische Bürgerrechtspartei Al-Mubadara. Viele unserer Kreisverbände und Ortsvereine haben internationale Kontakte und Partnerschaften. Und zweitens rücken die Fragen von Krieg und Frieden immer näher. Kürzlich noch haben wir Krieg in Europa für ausgeschlossen gehalten. Inzwischen müssen wir feststellen, der Frieden in Europa ist nicht sicher. Und drittens:
Wir wollen mit unserem Bundesaußenminister direkt diskutieren. Und ihm auch sehr direkt und sehr persönlich herzlich Dank sagen, für Monate anstrengendster Vermittlungsarbeit rund um die Ukraine-Krise. Lieber Frank-Walter, herzlich willkommen bei uns in Schleswig-Holstein. Was Du die vergangenen Monate geleistet hast, das ist wahre Friedensdiplomatie! Wir in der SPD Schleswig-Holstein sind ja bekanntermaßen kritische Geister. Und gerade deshalb wollen wir auf dieser Veranstaltung auch Dich und Deine Politik unterstützen und stärken! Und wir möchten Dir sagen: Wir sind stolz auf unseren Außenminister!
Wir freuen uns, dass heute eine Reihe renommierter Außenpolitiker und außenpolitischer Experten zu uns nach Kiel gekommen sind:
Ich begrüße ganz herzlich Egon Bahr. Früher Bundestagsabgeordneter der SPD Schleswig-Holstein im Wahlkreis 1 Flensburg/Schleswig-Flensburg. Ich denke, Egon Bahr muss man nicht weiter vorstellen. Denn er ist einer der versiertesten und erfolgreichsten deutschen Außenpolitiker überhaupt. Herzlich willkommen, Egon Bahr.
Ich begrüße unsere frühere Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit Heidemarie Wieczorek-Zeul. Ihre Amtszeit im Kabinett von Bundeskanzler Gerhard Schröder hat das internationale Vertrauen Deutschlands gemehrt, weil sie eine Entwicklungspolitik betrieben hat, die diesen Namen auch verdient, und eben nicht Exportförderung unter dem Decknamen Entwicklungshilfe war.
Herzlich willkommen Prof. Dr. Michael Brzoska, Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Hamburg. Vielen Dank für Ihre kurzfristige Zusage heute nach Kiel zu kommen und mit in dem Forum III zu diskutieren. Wir waren etwas in Not, nachdem beide für dieses Forum vorgesehene Gesprächspartner kurzfristig abgesagt haben. Aber Sie sind nicht der Ersatz, sondern einer der renommiertesten deutschen Friedensforscher. Wir freuen uns, dass Sie bei uns sind.
Und von der Friedrich-Ebert-Stiftung kommen Reinhard Krumm, Abteilungsleiter für Ost- und Mitteleuropa und früherer Spiegel-Korrespondent in Moskau sowie Knut Dethlefsen, der das Warschauer Büro der Stiftung leitet. Vorher war er für die Stiftung in China und Palästina.
Ich begrüße unsere Bundestagsabgeordneten, die auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik aktiv sind: Niels Annen aus Hamburg und Franz Thönnes aus Stormarn. Beide sind Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages und haben in den vergangenen Monaten profunde Krisen-Erfahrungen gesammelt. Franz in der Ukraine und Niels im arabischen Raum. Bei uns ist der Sprecher der schleswig-holsteinischen SPD-Bundestagsgruppe Ernst Dieter Rossmann aus Elmshorn. Ernst Dieter ist kein Außenpolitiker, aber einer derjenigen, die das Profil und den Charakter unseres Landesverbandes seit vielen Jahren mitprägen. Sein Wort hat Gewicht. Auch bei diesem Thema.
Herzlichen Dank an alle, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns zu diskutieren.
I. Worum geht es?
Seitdem Frank-Walter Steinmeier die Debatte über die künftige deutsche Außen- und Sicherheitspolitik eingeleitet hat, sind es vor allem Schlagworte, die die Debatte in den Medien beherrschen:
Neben dem Begriff der „Verantwortung“ geht es in der öffentlichen Debatte immer wieder um den Begriff der Kultur: „Kultur der Zurückhaltung“, „Kultur des Engagements“ (Wolfgang Röttgen, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses), oder gar „Kultur der Kriegsfähigkeit“ (ZEIT-Herausgeber Josef Joffe).
Und es stehen die Äußerungen des Bundespräsidenten Joachim Gauck im Raum, etwa die auf der Münchener Sicherheitskonferenz Ende Januar. Er sprach dort davon, dass wörtlich:
„ wir Deutsche auf einem Weg sind zu einer Form der Verantwortung, die wir noch nicht eingeübt haben.“
Er und andere, die sich ähnlich äußern, lassen offen, was genau damit gemeint ist. Wir wollen heute gemeinsam mit unseren Gästen die Hintergründe dieser Diskussion beleuchten.
Und wir versprechen von dieser Veranstaltung Impulse für die Weiterentwicklung unseres Positionspapiers „Friedenspolitik heute“, bevor es Thema auf unserem Landesparteitag am 27. September ist.
Es sind fünf rote Fäden, die diese Diskussion durchziehen:
- Soll Deutschland seine Politik noch stärker an den wirtschaftlichen Interessen ausrichten oder sich eindeutiger an den Werten –wie Menschenrechten, Freiheit, Demokratie- orientieren?
- Ist die sogenannte „Kultur der Zurückhaltung“ auch künftig die richtige Antwort für ein Land, in dem 25% der Arbeitsplätze vom Export abhängen?
- Was ist mit der NATO und der Sicherheit Europas, wenn sich die USA stärker in Richtung Asien orientieren? Und wir machen ja aktuell die Erfahrung, dass es hinsichtlich der Wertediskussion auch mit den Amerikanern so einige Differenzen gibt, wenn wir an NSA und oder TTIP denken.
- Wie geht es auf der Baustelle Europa weiter? Was sind die nächsten Schritte auf dem Weg zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik? Zu wie viel Souveränitätsverzicht sind wir eigentlich politisch und militärisch bereit?
- Nach der Krim-Annexion und der andauernden Ukraine-Krise stellen wir überrascht fest, dass es 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges eben doch keine tragfähige Friedensordnung in Europa gibt, dass eine neue Blockkonfrontation entstanden ist und Krieg aus Europa doch nicht verbannt ist.
Diese Debatte geht um Deutschlands Rolle in der Welt. Es geht letztlich um Krieg und Frieden. Wie vermeidet man Krieg, wie schafft man Frieden? Und sie geht darüber hinaus um die Frage, wie wir uns die Zukunft unserer Welt vorzustellen haben und vorstellen wollen, wenn
- die Weltbevölkerung in 20 Jahren von jetzt 7,2 Milliarden auf 9 Milliarden ansteigt – mit Schwerpunkten in Asien, Afrika und Lateinamerika.
- Wenn das westlich-kapitalistische Wachstumsmodell der USA und Europas mit 1,1 Milliarden Menschen künftig auf weitere 2,6 Milliarden Menschen in China und Indien übertragen wird.
- Wenn der weltweite Rohstoff- und Energiebedarf entsprechend steigt und die großen Wirtschaftsmächte weiter versuchen, sich diese Ressourcen durch die Erweiterung ihrer politisch-militärischen Einflusszonen zu sichern.
- Wenn die weltweite Expansion der extremen Konsum- und Wegwerfgesellschaft die Umweltschäden und Klimawandel voran treibt.
- Wenn die Anfälligkeit der Weltwirtschaft für Wirtschaftskriege und Finanzkrisen immer größer wird.
- Wenn sich die soziale Spaltung zwischen armen und reichen Ländern und innerhalb der einzelnen Länder weiter vertieft.
- Wenn die weltweiten Flüchtlingsströme aufgrund von sozialer Perspektivlosigkeit, Umweltzerstörung und Bürgerkriegen weiter anwachsen.
Das hört sich pessimistisch an, ist aber genau das, was gerade vor sich geht.
II. Interessen und Werte: Frieden und Wohlstand
Diese Fragen sind auch und gerade für die Sozialdemokratie von überragender Brisanz. Denn neben dem Grundwert der sozialen Gerechtigkeit steht die Friedenspolitik im Epizentrum sozialdemokratischer Identität und Werteorientierung.
Und eine Partei, die Deutschland mit 80 Mio. Menschen regiert, in der Mitte Europas, mit enormer Wirtschaftskraft und gewachsener politischer Macht, muss Position beziehen.
Wo und wie also verorten wir uns selbst in der Welt von morgen? Die Formel wirtschaftlich ein Riese, politisch aber ein Zwerg, trifft ja nicht mehr die Realität von heute.
In Deutschland und Europa haben wir schreckliche Erfahrungen mit zwei Weltkriegen, die den Kontinent weiterhin tief prägen.
Die Staatsraison der alten wie der neuen Bundesrepublik Deutschland lautet: Nie wieder Krieg. Nie wieder Faschismus. Nie wieder Auschwitz.
Die politische Identität der alten wie der neuen Bundesrepublik fußt zudem auf dem jahrzehntelangen wirtschaftlichen Erfolg.
Deshalb widersprechen wir grundlegend der These, dass Deutschland künftig seine wirtschaftlichen Interessen noch weiter nach vorne und seine Werte hinten an stellen muss.
Das erfolgreiche deutsche Modell heißt:
- Frieden und Wohlstand!
- Marktwirtschaft und soziale Gerechtigkeit.
- Wettbewerb und Sozialpartnerschaft.
Und das ist es, was unsere Demokratie und unsere Wirtschaft stabil macht und was uns in der Welt für unsere Partner so attraktiv macht – als Handelspartner, als Diplomaten und als Partner für Entwicklungszusammenarbeit.
Willy Brandt’s Vision ist zu einem großen Teil Wirklichkeit geworden. Wir sind ein Volk der guten Nachbarn nach innen und nach außen! Und das ist nicht nur unser größtes außenpolitisches, sondern eben auch unser größtes wirtschaftliches Kapital.
Von daher erscheint mir der Gegensatz von Interessen und Werten grundfalsch.
III. Handlungsfelder künftiger Friedenspolitik
Das Papier der SPD Schleswig-Holstein beschreibt 5 Handlungsfelder künftiger Friedenspolitik:
- Stärkung des Völkerrechts.
- Schaffung einer dauerhaften und tragfähigen Friedensordnung in Europa.
- Abrüstung.
- Schaffung einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung.
- Bei internationalen Konflikten und Kriegen: Vorrang für Diplomatie, Krisenprävention, Abbau von Spannungen, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit.
Zugegeben: Wir liefern hierzu keine fix und fertigen Masterpläne mit allen Details. Aber es kommt uns darauf an, die Richtung zu beschreiben. Wir wollen, dass der Begriff Friedenspolitik unsere Politik charakterisiert und mit neuen Inhalten gefüllt wird.
IV. Auslandseinsätze
Der heikelste Punkt der Debatte ist sicher die Frage künftiger Auslandseinsätze der Bundeswehr. Wir wollen die bisherige Kultur der Zurückhaltung bei militärischen Einsätzen im Ausland beibehalten und die im Hamburger Grundsatzprogramm der SPD für Auslandseinsätze der Bundeswehr genannten Voraussetzungen nicht verändert wissen: als Ultima Ratio, nur wenn sie durch ein völkerrechtlich bindendes Mandat der Vereinten Nationen legitimiert sind und der Deutsche Bundestag zustimmt.
V. Unsere Rolle in der Welt: Motor für Friedenspolitik
In dieser Debatte geht es um die Rolle Deutschlands in der Welt, es geht um den Charakter, das Profil und die Inhalte unserer Außen- und Sicherheitspolitik.
Wir sind überzeugt: Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik muss Friedenspolitik sein. Deutschland muss Motor für Friedenspolitik sein.
Aufgrund seiner geografischen Lage in der Mitte Europas mit neun Nachbarstaaten, seiner Geschichte, seiner wirtschaftlichen Stärke und internationalen Glaubwürdigkeit kann Deutschland in den Vereinten Nationen, der OSZE, der EU und der NATO Motor für Friedenspolitik sein.
Im Kern geht es darum: Welche Beiträge können wir realistisch leisten, um das Recht des Stärkeren in den internationalen Beziehungen durch die Stärke des Rechts zu ersetzen.
Noch mal: Herzlich willkommen Ihnen und euch allen.
Wir freuen uns auf eine interessante Diskussion.