Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung reisten die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Serpil Midyatli, MdL, und der Fraktionsvorsitzende Dr. Ralf Stegner, MdL, nach Brüssel, um dort verschiedene Gespräche über die Asyl- und Flüchtlingspolitik zu führen.
Höhepunkt des Programm war eine Expertenkonferenz des Europabüros der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) unter dem Titel „EU Asylum Policy: What about solidarity, dignity and common standards at European borders?“. Dr. Uwe Optenhögel, Büroleiter der FES in Brüssel, freute sich über das große Interesse der zahlreichen Gäste und die Diskussion einer sozialdemokratischen Position zu diesem Thema. Unter Leitung von Friederike Kamm, FES, diskutierten Matthias Oel, Referatsleiter für Asylfragen bei der Europäischen Kommission, Birgit Sippel, SPD-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Dr. Ralf Stegner und Serpil Midyatli mit den Gästen. Matthias Oel stellte die gemeinsame Asylpolitik der Europäischen Union dar. MdEP Birgit Sippel machte die Position des Parlaments deutlich.
Ralf Stegner hatte für den SPD-Parteivorstand eine Arbeitsgruppe zu dieser Thematik geleitet. Er stellte die Fluchtursachen dar, von persönlichen Verfolgungen, Diskriminierungen, Gewalt von Bürgerkriegen, Hunger bis zu Naturkatastrophen. Stegner warb dafür, diese Ursachen zu bekämpfen. Auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben sollten Menschen nicht auf die Flucht als letzten Ausweg angewiesen seien. Diejenigen, die dennoch unseren Schutz benötigten, müssten jedoch das Territorium der EU erreichen können. Derzeit sei dies gar nicht oder nur unter lebensgefährlichen Bedingungen möglich. Abweisungen an den Außengrenzen der EU, etwa bei Schiffsunglücken vor Lampedusa, stelle für ihn unterlassene Hilfeleistung dar. Dem müsste ein System der Aufnahme von Flüchtlingen unter menschenwürdigen Bedingungen gegenübergestellt werden. Das Dublin-System kritisierte Stegner, da Länder an der Peripherie der EU mit dem anhaltenden Flüchtlingsdruck alleingelassen würden. Über die Dublin-III-Verordnung wird geregelt, welcher Staat für die jeweiligen Asylsuchenden zuständig ist. Derzeit ist dies der Staat, über den die Einreise in die EU erfolgte. Wenige Länder müssten die komplette humanitäre Verpflichtung fast eines ganzen Kontinents schultern. Die Folge seien etwa katastrophale Zustände in Italien oder Griechenland! „Wenn die Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine Wertegemeinschaft sein wollen, dann muss sich das auch in der Flüchtlingspolitik widerspiegeln – ein grundsätzlicher Kurswechsel ist dringend nötig!“
Als konkrete Forderungen der deutschen Sozialdemokratie formulierte Ralf Stegner:
- Die Millenniums-Entwicklungsziele der UN und des Stufenplans der EU müssen eingehalten werden und künftig 0,7% des BIP in Entwicklungspolitik investiert werden.
- Eine Pflicht zur Seenotrettung, der Grundsatz der Nichtzurückweisung (non refoulement) und keine Kriminalisierung derer, die Flüchtlinge aus Seenot retten, sind schon aus humanitären Gründen geboten.
- Die Dublin-Verordnung muss durch einen solidarischen Ausgleich ergänzt oder ganz durch ein alternatives System ersetzt werden. Als Sofortmaßnahme könne mehr Flexibilität im Dublin-System ermöglicht werden.
Abschließend warb Ralf Stegner dafür, Europa als Einwanderungskontinent zu begreifen. Ein solches Verständnis brauche aber auch ein legales Einwanderungssystem.
Serpil Midyatli stellte die konkrete Bedeutung der europäischen Beschlüsse für die Arbeit vor Ort am Beispiel des Landes Schleswig-Holstein als Transitland dar. Mit Blick auf die Dublin-III-Verordnung sprach sie sich dafür aus, den Flüchtlingen die rechtlichen Möglichkeiten zu geben, sich das Land aussuchen zu können, in dem sie Asyl beantragen wollen. „Es geht in den meisten Fällen ja um die Entscheidung, wo man künftig mit seiner Familie eine neue Zukunft aufbauen und leben will.“ Serpil Midyatli machte außerdem deutlich: „Um sich ein Leben in Würde aufzubauen, ist es entscheidend, den –aus meiner Sicht- wichtigsten und effektives Weg zu einer erfolgreichen Integration nicht zu versperren, nämlich den Zugang zum Arbeitsmarkt.“ Sie berichtete auch über die Entscheidung zusätzliche Finanzmittel für Sprachkurse in den Landeshaushalt Schleswig-Holsteins einzustellen. „Wenn wir wollen, dass Integration gelingt, müssen wir auch die Barrieren aus dem Weg räumen, die es den Flüchtlingen so gut wie unmöglich machen, sich in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Aber auch um mit den weit verbreiteten Vorurteilen aufzuräumen, Flüchtlinge kämen nur, um sich in unsere Sozialsysteme einzuschleichen.“ Mit Blick auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sagte sie: „Es sind junge Menschen, die ein Recht auf eine angemessene Schulausbildung haben und dieses schließt meiner Meinung nach eine Ausbildungsförderung ein.“ Abschließend bedauerte Midyatli, dass es auf europäischer Ebene nicht gelungen sei, Mindeststandards für den Schutz der von Flüchtlingen zu definieren, diese aber für Verbesserungen zu öffnen. Abschließend appellierte sie daran, eine humanitäre Flüchtlingspolitik gemeinsam mit der Bekämpfung von Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus umzusetzen.
Den Zusammenhang zwischen Integration und Antidiskriminierungspolitik vertiefte Serpil Midyatli bei einem Gespräch mit Shannon Pfohman vom „European Network Against Racism“ (ENAR). Das „ENAR“ beschäftigt sich mit Rassismus und Diskriminierungen in ganz Europa. Mit großem Interesse wurden die unterschiedlichen Ansätze zur Evaluation solcher Ungleichheiten aufgenommen. Pfohman beklagte die mangelnde Datenlage in vielen EU-Mitgliedstaaten. Sie warb für ein Equality-Mainstreaming bei politischen Entscheidungen. Serpil Midyatli kündigte an, für ein Wahlrecht einzutreten, das sich am jeweiligen Wohnort orientiert. Es sei Grundlage für Partizipation und Teilhabe und somit für eine erfolgreiche Integration. Mit großem Interesse nahm Shannon Pfohman auch die Berichte Midyatlis über das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, die Antidiskriminierungsstelle des Landtags oder auch die schleswig-holsteinische Minderheitenpolitik auf. Einig war man sich, dass die Antidiskriminierungsrichtlinie überarbeitet werden müsse. Serpil Midyatli wollte auch in Schleswig-Holstein weiterhin für die Auseinandersetzung mit Rassismus und Diskriminierungen aller Art werben.
Torsten Moritz, „Churches‘ Commission for Migrants in Europe” (CCME), stellte die Position der Kirchen zur gemeinsamen europäischen Asylpolitik dar. Verschiedene Themen wurden im Gespräch vertieft. Dazu gehört eine Auseinandersetzung mit der Dublin-III-Verordnung und den Fragen der Abschiebehaft. Serpil Midyatli machte deutlich, dass die schleswig-holsteinische Regierungskoalition das Ziel verfolge, diese abzuschaffen und die Abschiebehaftanstalt im Land zu schließen. Aus Sicht der schleswig-holsteinischen Regierungskoalition sei die Abschiebehaft ein zu weit gehendes Mittel, denn sie stelle „eine immense psychische und physische Belastung für die Betroffenen dar“. Torsten Moritz bestätigte, dass die europäische Richtlinie zwar die Möglichkeiten einer Inhaftierung von Flüchtlingen festlege, jedoch keinen Zwang enthalte. Er warb für die Legalisierung von Migranten und betonte die Bedeutung einer Arbeitserlaubnis und Familienzusammenführung für Asylsuchende.
Selbstverständlich nutzten die Abgeordneten die Gelegenheit auch für einen Besuch im Hanse-Office, ein Gespräch mit dessen Leiter Thorsten Augustin und für einen Gedankenaustausch mit dem deutschen Botschafter Dr. Guido Peruzzo in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union sowie verschiedenen Mitgliedern des Europäischen Parlaments. In der Zentrale der „Party of European Socialists“ (PES) fand zudem ein Gespräch über den 2014 anstehenden Europawahlkampf und das Thema der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit auf dem Programm. Hierzu hatten die sozialdemokratischen Parteien Europas ein gemeinsame Kampagne für die Jugendgarantie auf den Weg gebracht: https://www.youth-guarantee.eu/