Für eine humanitäre Flüchtlingspolitik

Deutschland ist heute ein gefestigter demokratischer und sozialer Rechtsstaat, in dem die Würde des Menschen über allem steht. Es ist ein reiches und respektiertes Land, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, alle staatlichen Organe an Recht und Gesetz gebunden sind, mit einem funktionierenden Staatswesen. Wenn wir in diesem Jahr stolz auf 150 Jahre deutsche Sozialdemokratie blicken, dann werden wir auch gewahr, dass die zivilisatorischen Errungenschaften, die unser Land heute scheinbar so selbstverständlich bietet, hart erkämpft sind. Das Streben nach Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität haben viele - darunter immer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten - mit Leib und Leben, Verfolgung und Vertreibung bezahlt.

Deutschland ist heute ein gefestigter demokratischer und sozialer Rechtsstaat, in dem die Würde des Menschen über allem steht. Es ist ein reiches und respektiertes Land, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, alle staatlichen Organe an Recht und Gesetz gebunden sind, mit einem funktionierenden Staatswesen. Wenn wir in diesem Jahr stolz auf 150 Jahre deutsche Sozialdemokratie blicken, dann werden wir auch gewahr, dass die zivilisatorischen Errungenschaften, die unser Land heute scheinbar so selbstverständlich bietet, hart erkämpft sind. Das Streben nach Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität haben viele – darunter immer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten – mit Leib und Leben, Verfolgung und Vertreibung bezahlt.

„Freiheit einzuklagen für die Verfolgten und Ohnmächtigen“ – Willy Brandt, 1987

Auch wir waren Flüchtlinge. Immer wieder mussten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aus Deutschland fliehen: Vor den Schergen des deutschen Kaisers unter ihnen Eduard Bernstein, Julius Motteler und Georg von Vollmar.

Ab 1933 flohen Genossinnen und Genossen wie Otto Wels, Erich Ollenhauer, Ernst Reuter und Willy Brandt vor den Schlägern und Folterern der SA und der Gestapo. Insgesamt fanden eine halbe Million Flüchtlinge aus Deutschland in mehr als 80 Staaten Schutz und Zuflucht während der Naziherrschaft.

Auch aus der SBZ / DDR mussten Genossinnen und Genossen fliehen, unter ihnen Hermann Brill, Albert Schulz und Hans Hermsdorf.

Die Erfahrung, Flüchtling gewesen zu sein und Schutz in fremden Ländern erhalten zu haben, war prägend. So waren es auch Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die im Parlamentarischen Rat 1948/49 durchsetzten, dass das Recht auf politisches Asyl als Grundrecht im Grundgesetz verankert wurde.1

Heute sind weltweit rund 16 Millionen Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche aus ihren Heimatländern geflohen; hinzu kommen weitere 27,5 Millionen so genannte Binnenflüchtlinge2. Menschen fliehen vor persönlicher Verfolgung, Diskriminierung, vor der Gewalt von Bürgerkriegen, vor Hunger und Naturkatastrophen.

Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten treten dafür eintreten, dass wir allen die zu uns kommen zuhören und sie mit Respekt und Würde behandeln, egal, ob sie als Asylsuchende, Bürgerkriegsflüchtlinge oder als so genannte Armutsflüchtlinge zu uns kommen.

Wir wollen, dass sich unser hoher Anspruch in der Ausgestaltung des Flüchtlings- und Verfahrensrechts genauso widerspiegelt wie im konkreten Verwaltungshandeln. Wir sind unseren Grundwerten verpflichtet und sind uns unserer Geschichte bewusst.

Vor Ort müssen wir die Kommunen durch die Schaffung der leistungsrechtlichen und materiellen Voraussetzungen dabei unterstützen, um Flüchtlinge und AsylbewerberInnen angemessen zu betreuen und für die, die länger bei uns bleiben, eine nachhaltige Integration zu ermöglichen.

Nicht alle, die zu uns kommen, um Zuflucht zu finden, werden wir in Deutschland aufnehmen können. Viele Menschen, die nach Deutschland kommen, fliehen aufgrund von Armut aus ihrer Heimat, viele kommen zu uns auf der Suche nach einem besseren Leben.

Diese sogenannten Armutsflüchtlinge sind keine Flüchtlinge im Sinne des Flüchtlingsrechts und sie werden daher keine Anerkennung in einem Asylverfahren finden können. Gleichwohl müssen wir allen ein unvoreingenommenes, würdiges und faires Anerkennungsverfahren ermöglichen. Sie machen ein Menschenrecht geltend, das stets sorgfältig geprüft werden muss. Dies entspricht auch der historischen Verantwortung Deutschlands, insbesondere gegenüber Sinti und Roma.

Genfer Flüchtlingskonvention und das europäische Konzept des subsidiären Schutzes

In Deutschland hat das Grundrecht auf Asyl Verfassungsrang und ist bis heute Ausgangspunkt der Prüfung jedes Einzelfalls. Daneben wird das internationale Recht zunehmend wichtiger für den Schutz von Flüchtlingen.

Als Reaktion auf die Gräuel des Zweiten Weltkrieges, insbesondere der Verfolgungen durch die Nationalsozialisten, wurde 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) geschaffen. Erstmals gab es einen völkerrechtlichen Vertrag, der Flüchtlinge vor Zurückweisung in Staaten schützte, in denen ihnen Verfolgung droht.

In den Jahrzehnten nach 1951 bewährte sich die Genfer Flüchtlingskonvention. Die Rechtsprechung verschiedener Vertragsstaaten nutzte die GFK zunehmend als flexibles Instrument, um Formen der Verfolgung in die Auslegung einzubeziehen, die zuvor nicht erfasst worden waren. So wurde die Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung, von Verfolgung wegen des Geschlechts und Verfolgung wegen Homosexualität zunehmend in verschiedenen Vertragsstaaten durchgesetzt.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte spielte ab den späten 1980er Jahren eine wichtige Rolle. Er entwickelte das Konzept des subsidiären Schutzes, mit dem verbleibende Schutzlücken in der GFK geschlossen wurden.

Asylkompromiss (1993) und das gemeinsames europäisches Asylsystem (ab 1999)

In Deutschland führte der so genannte Asylkompromiss von 1993 auch in der SPD zu schwierigen, prägenden und teils spaltenden Diskussionen. Die Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion zur Änderung des Grundgesetzes ist bis heute in unserer Partei umstritten und stellt für viele Genossinnen und Genossen einen tiefen Einschnitt dar.

Auch wenn heute das Flüchtlingsrecht fast durchweg harmonisiertes Europarecht ist, so sind mit dem Asylkompromiss von 1993 Instrumente geschaffen worden, die bis heute bestehen und die aktuell von uns politisches Handeln erfordern (insbesondere Asylbewerberleistungsgesetz sowie Flughafenverfahren s.u.)

Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft, die den gemeinsamen menschenrechtlichen Traditionen der Mitgliedstaaten verpflichtet ist. Die Genfer Flüchtlingskonvention und weitere einschlägige Konventionen, etwa die Europäische Menschenrechtskonvention, sind Teil der EU-Verträge und verpflichten alle Mitgliedstaaten auf eine völkerrechtkonforme, humanitäre Flüchtlingspolitik.

Gemeinsam mit unseren Nachbarn haben wir in der EU ab 1999 begonnen, ein gemeinsames europäisches Asylsystem aufzubauen. In der ersten Phase wurden Mindestnormen für die Anerkennung von Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten, für faire Verfahren, für Aufnahmebedingungen sowie für die Zuständigkeitsverteilung nach der so genannten Dublin II-Verordnung geschaffen.

Die Zuständigkeitsverordnung führt in der Praxis jedoch dazu, dass die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz tendenziell an die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der EU verlagert wird. Vielfach werden Menschenrechte massiv verletzt, wenn Flüchtlinge menschenrechtswidrig inhaftiert werden oder keine menschenwürdigen Aufnahmebedingungen gegeben sind. Eine solidarische Flüchtlingspolitik muss für eine faire Verantwortungsteilung innerhalb der EU sorgen und einen Zugang nach Europa ermöglichen.

Fluchtursachen bekämpfen – Lebensbedingungen verbessern

Neben einem Ausbau der Regelungen zum klassischen Flüchtlingsschutz muss die deutsche wie auch die europäische Entwicklungszusammenarbeit künftig auch darauf setzen, Fluchtursachen zu bekämpfen. Die wenigsten Menschen wollen ihre Heimat verlassen. Wir müssen daran mitwirken, dass sie auf der Suche nach einem menschenwürdigen, erfüllten Leben nicht auf das Verlassen ihres Landes als Ausweg angewiesen sind.

Daher haben für uns die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, zu deren einstimmiger Annahme 2001 insbesondere Bundeskanzler Gerhard Schröder beigetragen hat, weiter Bestand. Das gleiche gilt für den Stufenplan der EU, bis 2015 0,7% des Bruttoinlandproduktes in Entwicklungspolitik zu investieren. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat dieses Ziel so stark vernachlässigt, dass es bis 2015 nicht zu erreichen sein wird. Die unverantwortliche Kürzung des Entwicklungsetats 2013 um 124 Millionen Euro (mit ausdrücklicher Zustimmung von Entwicklungsminister Dirk Niebel) ist ein zusätzlicher Rückschlag.

Notwendig für die Überwindung von Armut ist ein breitenwirksames, nachhaltiges Wachstum. Dafür bedarf es der Überwindung von Ungleichheiten in den Gesellschaften und der Schaffung von guter Arbeit, die sich an der Decent Work Agenda der ILO orientiert. Es bedarf Investitionen in landwirtschaftliche Entwicklung, Hilfen beim Auf- und Ausbau sozialer Sicherungssysteme im Sinne eines Basisschutzes nach dem Konzept des Social Protection Floor der UN und der ILO sowie der Gleichstellung von Männern und Frauen. Wichtige Voraussetzung dafür sind der Zugang zu guter Bildung, Gesundheitsversorgung und Ernährung.

Die Zivilgesellschaft ist ein zentraler Partner in der Entwicklungszusammenarbeit. Sie leistet einen wichtigen Beitrag für Gerechtigkeit, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, politische Teilhabe und demokratische Entwicklung – gerade auch in fragilen Staaten.

Armutsmigration aus Südosteuropa

Die EU-Mitgliedstaaten sehen sich aktuell mit Wanderungsbewegungen aus Südosteuropa konfrontiert. Asylsuchende aus Serbien oder Mazedonien aber auch EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien verlassen ihre Herkunftsländer. Dies betrifft vor allem Menschen – unter ihnen viele Roma -, die hier unter Benachteiligung und sozialer Ausgrenzung leiden, in prekärsten Verhältnissen leben, ethnische Diskriminierung erfahren und von rassistisch motivierter Gewalt bedroht sind. Sie verlassen ihre Heimat, weil sie dort keine Perspektiven für sich sehen und ihre Lebenssituation nachhaltig zu verbessern suchen.

Zuwanderung aus den südöstlichen Nachbarländern der EU

Für die so genannten Armutsflüchtlinge aus Nachbarländern der EU ist das Asylverfahren keine Lösung ihrer Situation. Zwar können sie (anders als EU-Bürger) einen Antrag auf Asyl stellen. Doch für die große Mehrzahl der Menschen wird gelten, dass sie keine Anerkennung als Flüchtlinge im Sinne des Flüchtlingsrechts erhalten werden.

Trotz aller vermeintlichen rechtlichen Klarheit, wie die Anträge zu bescheiden sind, haben die Betroffenen einen Anspruch auf eine unvoreingenommene Prüfung. Und sofern die Anträge negativ zu bescheiden sind, so dürfen wir das Elend nicht außer Acht lassen, unter dem viele der Betroffenen in ihren Herkunftsstaaten leben.

Insbesondere müssen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einer populistischen Stimmungsmache zulasten der Ärmsten, wie sie etwa Bundesinnenminister Friedrich betreibt, entgegen treten.

Wir brauchen keine Hetze. Wir brauchen konkrete Handlungskonzepte, wie dieser Herausforderung kurz-, mittel und langfristig begegnet werden kann

Wie zunächst kurzfristig verantwortungsvolles Handeln aussehen kann, haben verschiedene Bundesländer gezeigt: Sie haben die Abschiebung besonders schutzbedürftiger Personen einschließlich Angehöriger ethnischer Minderheiten in den Wintermonaten ausgesetzt oder diesbezüglich eine besonders strenge Einzelfallprüfung zur Vermeidung humanitärer Härten vorausgesetzt. Bei den bereits länger hier lebenden Migranten gilt es, im Rahmen der Einzelfallprüfung die Auslegungs- und Ermessensspielräume für die Gewährung von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen großzügig zugunsten der Betroffenen auszuschöpfen.

Allerdings können die Maßnahmen auf nationaler und / oder europäischer Ebene die Problemlage der Betroffenen nicht grundlegend lösen. Hierfür bedarf es einer nachhaltigen Verbesserung der Lebensbedingungen in den jeweiligen Nachbarländern im Südosten der EU. Deshalb ist besonders die EU gefordert, bestehende Strategien fortzuentwickeln, die den Ursachen für Emigration aus den Nachbarländern begegnet. Das umfasst vor allem Armutsbekämpfung sowie Abbau von Diskriminierung in den Herkunftsstaaten. Diese müssen wir unterstützen. Ländern gegenüber, die gewillt sind in die EU aufgenommen zu werden, müssen wir aber auch im Rahmen von Beitrittsverhandlungen unmissverständlich klarmachen, dass nur in die EU aufgenommen werden kann, wer rechtlich und tatsächlich (!) einen ausreichenden Minderheitenschutz und die Schaffung rechts- und sozialstaatlicher Strukturen gewährleistet.

Zuwanderung aus EU-Mitgliedstaaten

Eine besondere Situation stellt die Zuwanderung von so genannten Armutsflüchtlingen aus EU-Mitgliedstaaten dar, insbesondere aus Rumänien und Bulgarien. Auch hier verlassen viele Menschen – unter ihnen viele Roma – ihre Länder aus ganz ähnlichen Gründen, wie etwa aus den EU-Nachbarländern Serbien und Mazedonien.

Als EU-Bürger genießen sie allerdings Freizügigkeitsrechte und dürfen sich überall innerhalb der EU aufhalten. Die erhebliche Zuwanderung von (sozusagen) EU-Armutsflüchtlingen in den letzten Jahren stellt insbesondere die Kommunen in Deutschland vor gewaltige Herausforderungen.

Diese Migration konzentriert sich meist auf größere Städte und dort in Quartieren, die ohnehin durch einen erhöhten sozialen Problemdruck gekennzeichnet sind. Steuerungsinstrumente, die wie im Asylrecht eine regionale Verteilung gewährleisten sollen, greifen hier nicht. Ungeachtet der vielen gut integrierten Personen aus diesen EU-Ländern, erhöht sich hierzulande die Zahl derer, die schon in ihrer Heimat besonders benachteiligt waren. Häufig werden sie hierzulande Opfer organisierter Kriminalität, die ihre soziale Notlage missbraucht. Im Rahmen der vorhandenen Förderstrukturen und Integrationskonzepte konnten für diese Menschen bislang keine nachhaltigen Lösungsansätze für ihre Lebens-, Wohn- und Bildungssituation erreicht werden.

Diese Herausforderungen müssen wir annehmen und bei allen Maßnahmen die finanzielle, infrastrukturelle und administrative Leistungsfähigkeit der Kommunen berücksichtigen, die auch durch die Unterschiede der Leistungen für die verschiedenen Betroffenengruppe besonders gefordert sind.

Maßnahmen auf nationaler Ebene können die Problemlage der Betroffenen allein nicht lösen. Hierfür bedarf es einer nachhaltigen Verbesserung der Lebensbedingungen in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten. Deshalb ist besonders die EU gefordert, bestehende Strategien fortzuentwickeln, die den Ursachen für Emigration aus den EU-Mitgliedstaaten begegnet.

Das umfasst vor allem Armutsbekämpfung sowie Abbau von Diskriminierung. Insbesondere muss die EU dafür Sorge tragen, dass die den Mitgliedstaaten hierfür zur Verfügung gestellten Finanzmittel in vollem Umfang von den EU-Herkunftsländern abgerufen und auch eingesetzt werden.

Das gilt auch vor dem Hintergrund der ab 1. Januar 2014 geltenden Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänien und Bulgarien.

A. Herausforderungen annehmen

Die Mindestharmonisierung des europäischen Flüchtlingsrechtes hat die materiellen Anerkennungschancen in Deutschland verbessert. Endlich sind auch solche Fälle anzuerkennen, denen noch bis vor wenigen Jahren die Anerkennung verweigert wurde: Opfer nichtstaatlicher Verfolgung, wegen Homosexualität Verfolgte und Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung wie beispielsweise Genitalverstümmelung. Ob diese Regelungen von der Rechtsprechung so umgesetzt werden, wie es das europäische Recht fordert, muss weiter kritisch beobachtet werden.

Auch auf weiteren Feldern gibt es in Deutschland wie auf EU-Ebene Handlungsbedarf:

  1. Die so genannte Residenzpflicht, also das grundsätzliche Verbot, einen bestimmten Bezirk – meist den Landkreis – ohne Erlaubnis zu verlassen, stellt für die betroffenen Menschen eine massive Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit dar. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, der Besuch von Ärzten, Ämtern oder Bildungseinrichtungen kann dadurch massiv behindert werden. Diese Beschränkung der Bewegungsfreiheit lehnen wir ab!
    Allerdings besteht ein berechtigtes öffentliches Interesse sicher zu stellen, dass eine proportional gleichmäßige Verteilung von Asylbewerbern auf die Länder und Kommunen durch Wohnsitzauflagen erfolgt, weil nur so eine gerechte Verteilung der damit verbundenen Kosten zu gewährleisten ist.
  2. Das Bundesverfassungsgericht hat im Juli 2012 mehrere Normen des Asylbewerberleistungsgesetzes als unvereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip erklärt. Es hat den Gesetzgeber verpflichtet, unverzüglich eine Neuregelung zu treffen.
    Dem Urteil waren jahrelange politische Debatten insbesondere über die Höhe der Leistungen vorangegangen. Diese waren seit 1993 – dem Inkrafttreten des Gesetzes – nicht angepasst worden und inflationsbedingt in ihrem an der Kaufkraft gemessenen Wert kontinuierlich gesunken. Auch der Vorrang des Sachleistungsprinzips und die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften standen immer wieder in der Kritik.
  3. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist bislang in Deutschland erst nach einem Jahr möglich. Die jüngste, allerdings noch nicht verabschiedete Entwurfsfassung einer Änderung der EU-Richtlinie zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Asylbewerbern sieht eine Frist von längstens neun Monaten vor.
  4. Vorübergehender Aufenthalt und Integration schließen sich nicht aus. Die Lebenswirklichkeit zeigt, dass ein nicht unerheblicher Teil der Flüchtlinge letztlich über einen langen Zeitraum in Deutschland lebt. In dieser Zeit wird zu Recht erwartet, dass eine auch sprachliche Integration ins Umfeld ebenso stattfindet wie die Unterstützung der Kinder in ihrer schulischen Laufbahn oder die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit.
    Das Aufenthaltsgesetz schließt Flüchtlinge im laufenden Asylverfahren und Geduldete aber nach wie vor von Integrationskursen kategorisch aus. Ganz anders das Sozialgesetzbuch Drittes Buch, das Berufsausbildungsförderungsgesetz oder das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz: Alle drei Gesetze gehen spätestens ab einem Aufenthalt von vier Jahren von einer „dauerhaften Bleibeperspektive“ aus und formulieren auch für Flüchtlinge im laufenden Asylverfahren und Geduldete einen Anspruch auf Leistungen zur Ausbildungsförderung.
    Auch die Beschäftigungsverfahrensverordnung unterstützt die Integration nach einer gewissen Zeit des Aufenthalts. Eine betriebliche Berufsausbildung kann schon nach einem Jahr Aufenthalt in Deutschland ohne Einschränkung begonnen werden. Ebenfalls nach einem Jahr gibt es einen „nachrangigen“ Zugang zum Arbeitsmarkt. Nach vier Jahren Aufenthalt besteht in Deutschland bereits heute voller Zugang zum Arbeitsmarkt.
  5. Problem Kettenduldung: Viele abgelehnte AsylbewerberInnen – unter ihnen auch ehemalige Bürgerkriegsflüchtlinge – können wegen bestehender Abschiebungs-/ Ausreisehindernisse nicht ausreisen oder abgeschoben werden. Ihr Aufenthalt wird nur geduldet. Das ist nur dann politisch vertretbar, sofern es sich um einen als provisorisch zu betrachtenden, vorübergehenden Aufenthalt handelt. Doch oft wird die Duldung immer und immer wieder verlängert – mit all ihren einschränkenden Wirkungen.
    Wir wollen keine sogenannte Kettenduldung. Sofern die Betroffenen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen – dabei ist auch die Zumutbarkeit einer freiwilligen Ausreise zu bewerten – nicht ausreisen können und sie das Ausreisehindernis nicht selbst zu verantworten haben, müssen wir diesen Menschen in Deutschland eine Perspektive geben. Verschiedene Bleiberechtsregelungen haben hier Fortschritte gebracht.
    Nach wie vor jedoch leben rund 85.000 Menschen mit einer Duldung in Deutschland, davon rund 39.000 länger als sechs Jahre (Stand: August 2012). Es besteht weiterer Handlungsbedarf, der
    • zum einen an den Befund einer absehbar nicht möglichen Ausreise / Abschiebung anknüpft (Änderung zur §25 Abs.5 AufenthG, Bleiberechtsregelung)
    • zum anderen eine faktisch vollzogene Integrationsleistung geduldeter Ausländerinnen und Ausländer durch Aufenthaltserlaubnis anerkennt (§25b AufenthG– Entwurf).
  6. Im Juli 2012 hat die Bundesregierung die bis dahin geltenden nationalen Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention zurückgenommen. Die Konvention gilt nun auch für ausländische Kinder vorbehaltslos. Das erfordert Änderungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht.
  7. Abschiebehaft stellt immer eine immense psychische und physische Belastung für die Betroffenen dar. Sie darf nur als allerletztes Mittel unter unbedingter Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes angeordnet werden, überlange Haftzeiten sind zu vermeiden.
    In den vergangenen Jahren hat zudem die Inhaftierung Asylsuchender zugenommen. Dabei ist die Abschiebehaft von AsylbewerberInnen grundsätzlich unzulässig, da ihr Aufenthalt während des Asylverfahrens gestattet ist. Abschiebehaft muss auf wenige besonders begründete Ausnahmefälle beschränkt sein, nachdem der Asylantrag rechtskräftig abgelehnt ist.
    Allerdings werden Einreisende vielfach noch vor der Asylantragstellung von der Bundespolizei aufgegriffen und in Haft genommen werden. Dies geschieht im Rahmen der Dublin II-Verordnung, um diese Menschen unmittelbar in die EU-Staaten zurückzuführen, in die sie aus dem Nicht-EU-Ausland zunächst eingereist waren. Diese Praxis gilt es abzuschaffen.
    Während die Haft bei vollziehbar Ausreisepflichtigen als allerletztes Mittel legitim ist, muss beachtet werden, dass eine Inhaftierung von Asylsuchenden grundsätzlich unzulässig ist. Pläne in Europa, die Inhaftierungsmöglichkeiten für Asylbewerber zu verschärfen, lehnen wir ab.
  8. Das Flughafenverfahren wurde 1993 angesichts hoher Asylantragszahlen geschaffen, die 1992 mit 438.191 ihren Höhepunkt erreicht hatten. Trotz aktuell steigender Zahlen sind die 2012 gestellten 77.651 Anträge ein Bruchteil der damaligen Gesuche. Hierbei spielte das Flughafenverfahren mit lediglich 60 Fällen (2011) quantitativ nur noch eine geringe Bedeutung. Die geringeren Zahlen geben Anlass, die Existenzberechtigung eines Verfahrens mit erheblichen Restriktionen für die Betroffenen zu hinterfragen.
    Zwar hat das Bundesverfassungsgericht 1996 geurteilt, dass es sich beim Flughafentransit nicht um eine Freiheitsentziehung handele. Aber nur wenige Monate später hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer Klage gegen Frankreich anders geurteilt: Das Gericht stellte fest, dass es sich bei Gewahrsam im Transitbereich um Haft handelt, wenn weder Ein- noch Aus- oder Rückreise in einen anderen, vergleichbaren Schutz gewährenden Staat möglich sind.
    Darüber hinaus müsste das selten zur Anwendung kommende Flughafenverfahren an mehrere zwischenzeitig in Kraft getretene EU-Richtlinien angepasst werden, die besonderen Garantien für Anordnung und Bedingungen Haft vorsehen.
  9. Der UNHCR setzt sich seit Jahren für die Aufnahme eines Resettlement-Programmes in Deutschland ein. Hierbei handelt es sich um die Aufnahme einer bestimmten Anzahl besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge in Deutschland, die zwar aus ihrem Herkunftsstaat in einen ersten Aufnahmestaat geflohen sind, dort aber keinerlei Lebensperspektive haben.
    2009 hat Deutschland 2500 Iraker aus Syrien und Jordanien aufgenommen. 2011 haben Bund und Länder beschlossen, in drei Jahren insgesamt 900 Personen im Rahmen des Resettlement-Programmes des UNHCR aufzunehmen. So kann Geflüchteten eine neue Perspektive geboten werden.
  10. Auf EU-Ebene wurden wichtige Schritte unternommen, aber zentrale Herausforderungen bleiben. Deren Bewältigung verlangt etwas anderes als eine möglichst effektive Abwehr von Flüchtlingen an den europäischen Grenzen. Deutschland ist unter Schwarz-Gelb auf der europäische Ebene zu einem eindimensionalen Bremser geworden. Wir wollen dagegen mit unseren Partnern in der S&D (Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament) zum Motor einer Diskussion werden, die sich den neuen Herausforderungen der weltweiten Migration, dem Umbruch in der arabischen Welt, der Flucht vor Armut, Ausbeutung und Klimakatastrophen stellt.
    Die sogenannte Dublin II-Verordnung, die die Zuständigkeit für Asylanträge regelt, führt meist zu einer Zuständigkeit des Mitgliedstaates, in dem die erste Einreise in das Territorium der EU erfolgt ist. Viele Mitgliedstaaten an den Außengrenzen beklagen zu Recht, dass sie die Hauptlast bei der Aufnahme Asylsuchender tragen. So reisen beispielsweise 90% der circa 400.000 alljährlich in die EU kommenden MigrantInnen und Asylsuchenden über den Landweg nach Griechenland ein.
    Das geht auch zu Lasten der Betroffenen: Die Aufnahmebedingungen sind in vielen Mitgliedstaaten schlecht bis verehrend. Das Asylverfahren ist für die Betroffenen in manchen Mitgliedstaaten mit Elend und Obdachlosigkeit, in manchen Mitgliedstaaten auch mit längerer Inhaftierung verbunden. So stellte etwa der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Januar 2011 in einem Einzelfall fest, dass die Überstellung im Rahmen der Dublin II-Verordnung von Belgien nach Griechenland menschenrechtswidrig war.
    Zudem geht die Dublin II-Verordnung von EU-weit geltenden einheitlichen Mindestnormen im Asylrecht aus. Tatsächlich aber fehlt es bis heute an deren einheitlicher Umsetzung und Anwendung. Das führt zu Ungleichbehandlung von Asylsuchenden je nach zuständigem Mitgliedstaat.
    Die Überlastung einzelner Mitgliedstaaten darf nicht zu Lasten innereuropäischer Solidarität und auf Kosten eines fairen Verfahrens sowie menschenwürdiger Unterbringung von AsylbewerberInnen gehen. Auch haben alle EU-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Verantwortung für die Aufnahme von Asylsuchenden. Diese gilt es gerecht und solidarisch mit allen Mitgliedstaaten wahrzunehmen, statt einzelne Staaten an den Außengrenzen hiermit zu überfordern.
    Die Mitgliedstaaten der EU müssen ihre Grenzen vor illegaler Migration sichern. In einem vereinten Europa ist es richtig, dass die Mitgliedstaaten hierbei zusammenarbeiten. Das geschieht unter Koordination der EU-Agentur Frontex. Deren Errichtung war ein konsequenter und notwendiger Schritt, um die Außengrenzen nach Wegfall der Binnengrenzen zu schützen.
    Doch gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass diejenigen, die unseren Schutz benötigen, das Territorium der EU tatsächlich erreichen können. Der gemeinsame europäische Grenzschutz, weitgehend auf exterritoriales Gebiet oder in Drittstaaten ausgelagerte Grenzkontrollen sowie die Zusammenarbeit mit Drittstaaten führen dazu, dass viele, die Schutz suchen, ihren Weg nach Europa gar nicht oder nur unter lebensgefährlichen Bedingungen finden können. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es sich nicht bei allen umstrittenen Aktionen um solche handelt, die von Frontex koordiniert werden, sondern dass auch bilaterale Kooperationen darunter sind.
  11. EU-Binnenwanderung: Auch aus den neuen Mitgliedstaaten der EU, insbesondere Rumänien und Bulgarien, wandern in den letzten Jahren immer mehr Personen nach Deutschland.
    Diese Herausforderung kann nicht im Rahmen des Asylverfahrens gelöst werden. Zum einen, weil es auch hier vorwiegend um Armutsmigration geht. Zum anderen, weil den Betroffenen als EU-Bürgern schon aus europarechtlichen Gründen keine Anerkennung als Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte gewährt werden kann.
    Die zunehmende armutsbedingte EU-Binnenwanderung stellt die Kommunen ebenfalls vor gewaltige Herausforderungen. Zu ihrer Bewältigung brauchen die Kommunen die Unterstützung des Bundes. Dabei sind auch Fondslösungen zu prüfen. Das gilt nicht nur, weil sie zunehmende Kapazitäten in Unterkünften und Schulen zur Verfügung stellen müssen, sondern auch weil viele der einwandernden EU-Bürger nicht über ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügen.
    Auch hier gilt: Die Probleme müssen vor allem in den Herkunftsstaaten gelöst werden.
  12. Für die umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist die Einbürgerung der Einwanderinnen und Einwanderer einschließlich aller staatsbürgerlichen Rechte von essentieller Bedeutung. Eine Aufnahmegesellschaft, die sich die Integration der legal ansässigen Ausländerinnen und Ausländer zum Ziel macht, muss eine möglichst hohe Quote an Einbürgerungen anstreben und die dafür erforderlichen Voraussetzungen schaffen. Dazu gehört die generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit, sowie der Grundsatz, dass die in Deutschland geborenen Kinder auch deutsche Staatsbürger sind. Die Ausnahme ist ohnehin längst die Regel: Seit Jahren erfolgt über die Hälfte der Einbürgerungen unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit.

B. Forderungen

  1. Die räumliche Beschränkung des Aufenthalts von Asylbewerbern und Geduldeten, die so genannte Residenzpflicht, wird aufgehoben.
    Asylbewerber werden in Deutschland auf der Grundlage der Residenzpflicht in ihrer Bewegungsfreiheit unverhältnismäßig eingeschränkt.
    Wir wollen Asylbewerbern die Möglichkeit geben, sich in Deutschland frei zu bewegen und deshalb die Residenzpflicht aufheben.
    Es bleibt aber bei der Verpflichtung für Asylbewerber, ihren Wohnsitz in einer bestimmten Gemeinde, einem bestimmten Landkreis oder einem bestimmten Bundesland zu nehmen (PV-Beschlusslage 2010). Das ist notwendig und muss auch durchgesetzt werden, um weiterhin einen gerechten Ausgleich zwischen Bundesländern und innerhalb der Bundesländer zwischen Landkreisen und Kommunen zu gewährleisten und die Integrationskraft der Ballungszentren nicht zu überfordern. Das Gleiche soll für Geduldete gelten, allerdings längstens befristet bis zur Aufnahme einer Beschäftigung oder eines Studiums an einer deutschen Hochschule.
  2. Leistungen für Asylbewerber/innen und Geduldete verfassungskonform neu regeln: In seiner Entscheidung vom Juli 2012 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass das Existenzminimum für alle Menschen in Deutschland sichergestellt sein muss. Kein Mensch darf weniger haben, als er braucht. Dies steht allen deutschen und ausländischen Staatsangehörigen zu, die sich in Deutschland aufhalten.
    Die Leistungen für Asylbewerber/innen und Geduldete müssen deshalb auf eine neue verfassungskonforme gesetzliche Grundlage gestellt werden.
    Das geltende Asylbewerberleistungsgesetz wird abgeschafft.Eine Neuregelung der Leistungen für Asylbewerber/innen und Geduldete muss insbesondere enthalten:
    • Eine Anhebung der Leistungen. Die Höhe der Leistungen ist anhand der Kriterien des Bundesverfassungsgerichts in seinen Entscheidungen vom 9.2.2010 und vom 18.7.2012 festzulegen. Alle Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus dem leistungsberechtigten Personenkreis haben Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket,
    • eine Verbesserung der medizinischen Versorgung und die Anpassung des Umfangs der medizinischen Leistungen an die Erfordernisse der EU-Richtlinie über Aufnahmebedingungen. Dazu gehört zumindest die psychologische Behandlung von Opfern von Folter, Vergewaltigung oder anderen schweren Gewalttaten. Zudem sind die Belange von Menschen mit Behinderung angemessen und im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention zu berücksichtigen,
    • eine Eingrenzung des Kreises der Leistungsberechtigten auf Personen, deren Aufenthalt nur vorübergehend ist,
    • eine Verkürzung der Höchstdauer des Leistungsbezugs auf maximal zwölf Monate. Je nach Entscheidung über eine Arbeitserlaubnis folgt dann der Übergang in das Regelsystem des SGB XII oder des SGB II.
    • Weiter müssen das Sachleistungsprinzip und die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften grundsätzlich auf die Zeit vor der länderinternen Umverteilung der Erstaufnahme begrenzt werden, also auf maximal sechs Wochen bzw. ausnahmsweise drei Monate.
      Ausnahmen sind nach Maßgabe der örtlichen Verhältnisse nur dann möglich, wenn die Wohnungs- und Lebenssituation der betroffenen Menschen dies erfordert und auf andere Weise eine angemessene Unterbringung und Versorgung nicht gewährleistet werden kann und ein diskriminierungsfreier Zugang zu kultureller und sozialer Teilhabe sichergestellt ist.
      Nicht zuletzt benötigen Familien und unbegleitete Minderjährige eine, ihrer besonderen Situation angemessene Unterbringung.

    Im weiteren Prozess bedarf es einer Verständigung darüber, wie die Kosten zwischen Bund, Ländern und Kommunen verteilt werden. Eine Neuordnung des Leistungsrechts für Asylbewerber/innen und Geduldete darf nicht zu Lasten der Kommunen gehen.

  3. Der Zugang zum Arbeitsmarkt wird in Umsetzung einer zu erwartenden Änderung der EU-Aufnahmebedingungen-Richtlinie nach spätestens sechs Monaten erlaubt. Die üblichen aufenthaltsrechtlichen Regelungen, einschließlich der arbeitsmarktlichen Vorrangprüfung, werden auf ihre Erforderlichkeit überprüft.
    Die Anerkennung von ausländischen Bildungs- und Berufsabschlüssen Abschlüsse soll verbessert werden.

  4. Wie im SGB III, Berufsausbildungsförderungsgesetz oder Aufstiegsfortbildungs-förderungsgesetz sollen Asylsuchende und Geduldete auch im Aufenthaltsgesetz einen Anspruch auf Integrationsförderung bekommen. Der teilnahmeberechtigte Personenkreis wird auf Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen ausgeweitet.Flüchtlinge im laufenden Asylverfahren und Geduldete werden nach einer Mindestaufenthaltsdauer zumindest im Rahmen verfügbarer Kursplätze zur Teilnahme zugelassen.

  5. Wir wollen keine Kettenduldungen mehr, die Menschen oft über viele Jahre in einem permanent unsicheren Aufenthaltstatus halten. Wer aus nicht selbst verursachten Gründen dauerhaft nicht abgeschoben werden kann, der soll eine Chance auf einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland haben. Das gilt besonders für gut integrierte Kinder und Jugendliche, wie auch für nachhaltig integrierte Erwachsene. Deshalb werden wir weiter auf eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung hinwirken, die realistische Anforderungen an die Lebensunterhaltssicherung stellt, eine Sozialklausel enthält, die Voraussetzungen realistisch formuliert und eine deutliche Absenkung der in bisherigen Bleiberechtsregelungen enthaltenen Voraufenthaltszeiten beinhaltet. Die Initiativen mehrerer Bundesländer, die auf eine Aufenthaltsgewährung wegen nachhaltiger Integration abzielen, unterstützen wir.

  6. Es sind gesetzliche Konsequenzen aus der Rücknahme des Vorbehalts zur UN-Kinderrechtskonvention zu ziehen. Das umfasst insbesondere eine gesetzliche Klarstellung, dass das Kindeswohl bei jeder Einzelentscheidung ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt ist, dass auch Sechzehn- und Siebzehnjährige durch Bestellung eines Vertreters rechtlich wie Kinder behandelt werden und dass eine kindergerechte Unterbringung gewährleistet ist.

  7. Die zulässige Höchstdauer der Abschiebehaft in Form der Sicherungshaft ist auf drei Monate zu begrenzen. Die derzeit gegebene Möglichkeit ihrer ausnahmsweisen Ausdehnung auf 18 Monate ist zu streichen. Humanitäre Spielräume müssen maximal ausgenutzt werden.
    Wenn überragende Interessen der öffentlichen Sicherheit dies erfordern, müssen längere Fristen beibehalten werden dürfen, insbesondere wenn der Betroffene in Deutschland rechtskräftig wegen einer Straftat zu Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel verurteilt ist bzw. dies zu erwarten ist, von deren Vollstreckung im Hinblick auf die Abschiebung aber abgesehen wurde und die längere Frist zu deren Sicherung erforderlich ist. Entsprechend der EU-Rückführungsrichtlinie sind Strafhaft und Abschiebungshaft zu trennen. Minderjährige, Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, Schwangere und traumatisierte Menschen dürfen nicht in Sicherungshaft genommen werden.
    Außerdem ist die Inhaftierung Asylsuchender, insbesondere solcher, die aus sicheren Drittstaaten einreisen und deshalb vorrausichtlich im Rahmen der Dublin II-Verordnung rücküberstellt werden, auszuschließen.

  8. Das Flughafenverfahren wird abgeschafft.

  9. Das Resettlement-Verfahren soll in Zusammenarbeit mit dem UNHCR fortgesetzt, verstetigt und bereits vor 2015 quantitativ ausgebaut werden.

  10. Es ist zu prüfen, wie und in welchem Umfang die so genannte Dublin II-Verordnung durch Elemente eines solidarischen Ausgleichs ergänzt oder durch ein alternatives, auf Verantwortungsteilung beruhendes System ersetzt werden kann. In der Übergangszeit sind Initiativen Deutschlands nötig, um besonders betroffene Mitgliedsstaaten zu entlasten; dies kann auch die freiwillige Aufnahme von Asylbewerbern aus Drittstaaten umfassen.

  11. Es ist weiterhin auf eine flüchtlings- und menschenrechtskonforme Fortentwicklung der Frontex-Verordnung hinzuwirken, wie sie in ersten Schritten bereits umgesetzt wurde. Zudem ist auf eine Ausgestaltung der Seenotrettungs- und Ausschiffungsvorschriften zu achten, die den Grundsatz des non-refoulement3 achtet und die Ausschiffung in Verfolger- oder solche Staaten, von denen aus Kettenabschiebung in einen Verfolgerstaat droht, ausschließt.

  12. Armutswanderung aus südosteuropäischen EU Staaten (insbesondere Bulgarien und Rumänien) führt zu Belastung einzelner Kommunen. Die Ursachen von Armutswanderung müssen wir bekämpfen.
    Die EU Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Minderheiten in ihren Ländern zu integrieren und Diskriminierungen abzustellen. Wir werden den bestehenden EU Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma gezielt ausbauen, damit Armutswanderung in Europa überflüssig wird.
    Wir müssen verhindern, dass die EU-weite Gewerbefreiheit durch Scheinselbständigkeit missbraucht wird. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit darf nicht zu Lohndumping und sozialer Ausbeutung von Arbeitsmigranten führen.
    Daneben müssen die Herkunftsstaaten in die Pflicht genommen werden. Wo EU-Mitgliedstaaten ihren Bürgern bspw. keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz bieten, verletzen sie EU-Recht.
    Deswegen werden wir auf die Herkunftsländer einwirken, dass jedem Staatsangehörigen die europäische Krankenversichertenkarte (EHIC) diskriminierungsfrei ausgestellt wird. Auch muss sie in Deutschland und den anderen EU-Mitgliedstaaten besser anerkannt werden; dazu werden wir die Information gegenüber Krankenhausträgern und Ärztevertretungen verstärken.
    Im Übrigen gilt es denen, die am Elend der Betroffenen verdienen, das Handwerk zu legen. Das gilt insbesondere für Vermieter in verschiedenen deutschen Großstädten, die Schrottimmobilien zu Wucherpreisen an neu ankommende EU-Bürger vermieten.

  13. Für Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte, aber auch andere legal in Deutschland lebende Ausländer soll der Weg zur Einbürgerung zum einen innerhalb der geltenden Rechtslage geebnet und erleichtert werden. Dazu sollen Auslegungs- und Ermessensspielräume großzügig genutzt werden. Besonderes Augenmerk ist auf Erleichterungen für in Deutschland aufgewachsene oder geborene Kinder zu legen. Mittels Einbürgerungskampagnen soll zum Schritt in die deutsche Staatsbürgerschaft ermuntert werden. Zum anderen sind gesetzliche Erleichterungen, insbesondere die Akzeptanz mehrfacher Staatsangehörigkeit und Aufhebung der Optionspflicht, anzustreben.

1 Artikel 16 Absatz 2, Satz 2 GG (a.F.): „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“

2 Personen die innerhalb ihres Landes in einer anderen Region Zuflucht suchen mussten. Zahlen 2011 des UNHCR.

3 Verbot, einen Flüchtling „auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde“ (Artikel 33 GFK ).

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